Yves Hanania (Lighthouse): “Es ist leichter zu wachsen als zu schrumpfen”


Übersetzt von

Felicia Enderes

Veröffentlicht am



24. Dezember 2024

Yves Hanania, Gründer der auf Markenstrategie und -entwicklung spezialisierten Beratungsfirma Lighthouse und Mitautor der Bücher “Le luxe demain” und “Le luxe contre-attaque” (Dunod Verlag), analysiert die großen Veränderungen, mit denen die Luxusgüterindustrie 2024 einem Jahr, das von verstärkten geopolitischen Spannungen und einer tiefen Krise geprägt war konfrontiert war, sowie die Herausforderungen, die 2025 auf die Branche zukommen werden.
 

Yves Hanania – DR

FashionNetwork.com: Wie beurteilen Sie das Jahr 2024?
 
Yves Hanania
: Es herrscht ein Gefühl der Verunsicherung. Es gibt einen allgemeinen Rückgang mit einer gleichzeitigen Verlangsamung in mehreren sehr wichtigen Regionen Europa, China und sogar Südkorea, was ein seltenes Phänomen ist, da es normalerweise eher lokal begrenzt ist. Ich würde sogar die USA auf die Liste der großen Regionen setzen, die einen Rückschlag erleiden. Allerdings muss man zwischen Segmenten und Marken unterscheiden. Ein Konsumrückgang bei bestimmten Produkten führt manchmal zu einer Verlagerung auf neue Produktsegmente, da sich die Sortimente erweitern.
  
FNW: Wie lässt sich diese Krise beschreiben?

YH: Wir haben es mit einem lang anhaltenden Abschwung zu tun. Das Wachstum ist immer noch vorhanden, hat sich aber in einigen Fällen halbiert. Auch wenn sich Japan und die USA derzeit noch behaupten, gibt es in dieser Krise eine Konvergenz zwischen einer strukturellen und einer konjunkturellen Dimension, wobei das Geschäftsmodell des Luxus auf der einen Seite und der Konsum auf der anderen Seite in Frage gestellt werden. Trotz der Widerstandsfähigkeit des Luxus als Motor für den sozialen Status gab es Auswirkungen auf den Konsum. Im Zusammenhang mit der Immobilienkrise in China kam es beispielsweise zu einer erheblichen Verringerung der Kaufkraft der Chinesen. Auch die Inflation spielte eine Rolle. Sie hat sich eindeutig auf die Kosten ausgewirkt, die größtenteils an die Verbraucher weitergegeben wurden. Hier wird es sehr wahrscheinlich zu einer Korrektur kommen.
 
FNW: Auch die Produktpreise sind deutlich gestiegen…
 
YH
: Von Häusern sagt man, dass sie nicht für die Ewigkeit sind, aber Luxus ist es wahrscheinlich schon. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Wenn es sich um ungezügelten, überkonsumierten und überbewerteten Luxus handelt, gibt es ein Problem. Und tatsächlich hat es Missbrauch gegeben.

Die Preise sind manchmal exorbitant hoch. Sie sind innerhalb von fünf Jahren um das Zwei- oder Dreifache gestiegen und haben bei den Verbrauchern eine Ermüdung oder Ablehnung, eine Form von Desinteresse, hervorgerufen. Man kann eine Tasche nicht nur aufgrund eines Mythos kaufen. Viele, die sich die renommiertesten Marken nicht mehr leisten konnten, gingen einen Schritt zurück und griffen zu erschwinglicheren Produkten oder solchen mit einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis. Dies begünstigte auch den Second-Hand-Markt, dessen Reiz unter anderem darin besteht, einzigartige Produkte zu besitzen, denn Vintage stammt aus einer Zeit, in der es keine Massenproduktion im Luxusbereich gab. Die Produkte waren Einzelstücke, die auf Bestellung hergestellt wurden. Man kauft also ein Einzelstück, das zudem noch eine Geschichte hat. Das ist eine Aufwertung und fast eine Rückkehr zu den Wurzeln des Luxus.
 
FNW: Welche Rolle hat der Aufschwung nach der Pandemie gespielt?

YH: Die Wirkung war die eines verzerrenden Trugbildes. Die Zeit nach der Pandemie war von einer so großen Nachfrage nach Uhren, Schmuck und Mode begleitet, dass es zu Lieferproblemen kam. Beispielsweise wurde der französische Markt bei bestimmten Kategorien wie Champagner nicht bedient, da das gesamte Angebot ins Ausland ging, weil es dort besser bezahlt wurde. Dies führte in bestimmten Segmenten und Ländern zu einer Ablehnung seitens der Einzelhändler, die der Meinung waren, schlecht behandelt worden zu sein. Vor allem in der Uhrenbranche gingen einige Marken zu weit und setzten die Einzelhändler unter Druck, indem sie sie zwangen, mehr und mehr zu kaufen. Plötzlich kam es zu Überbeständen. Während des Aufschwungs nach der Pandemie, in den Jahren 2022 und 2023, hatte der Einzelhandel zu hohe Lagerbestände, und wir alle zahlen noch immer den Preis dafür.
 
FNW: Wie haben die Modehäuser auf diese Situation reagiert?

YH: Die Strategie der Marken bestand darin, die Nachfrage zu steuern und ihre Positionierung und Wachstumsraten auf den verschiedenen Märkten, auf denen sie vertreten waren, zu überprüfen. Sie waren auch gezwungen, den Status ihrer Vertriebskanäle neu zu bewerten, um zu verstehen, wie viel ihres Geschäfts sie über den Großhandel, den E-Commerce und den direkten Einzelhandel generieren sollten.

Herausforderung Nachfrage

 
FNW: Was sind die größten Herausforderungen für 2025?

YH: Eine der größten Herausforderungen besteht darin, die Nachfrage aufrechtzuerhalten, wobei eine Neupositionierung erforderlich ist, um den Kriterien der Zugänglichkeit und des wahrgenommenen Werts gerecht zu werden.
 
FNW: Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden?

YH: Die Unternehmen werden wahrscheinlich ihr Sortiment erweitern, indem sie Produkte zu erschwinglicheren Preisen einführen, z. B. Taschen für Einsteiger, oder neue Kategorien entwickeln. Das ist ein Klassiker. Wenn man eine starke Marke hat, bietet die Diversifizierung ein potenzielles Wachstumsrelais. Das geht über die großen Segmente wie Brillen, Parfüm und Schönheitspflege.

Es gibt auch eine Diversifizierung hin zu immersiveren Erlebnissen, mit einer Zunahme an temporären Einrichtungen, z. B. Restaurants, wie sie im letzten Sommer in Saint-Tropez, Capri usw. aus dem Boden schossen. Es handelt sich nicht mehr um eine rein transaktionale Beziehung, sondern um eine tiefere emotionale Beziehung. Die Marken werden auch ihre Preispositionierung überdenken müssen, um ihre Abhängigkeit von sehr hochwertigen Produkten zu verringern und gleichzeitig die Kohärenz der Marke und ihre Begehrlichkeit zu erhalten.
 
FNW: Welche anderen Wachstumsmöglichkeiten sehen Sie?

YH: Zum einen die geografische Expansion. Aber auch die Innovation des Markenimages, wobei wir die emotionale Bindung zu den Kunden stärken müssen, insbesondere durch das Storytelling, bei dem die Kunst, das Handwerk und das Erbe stärker in den Vordergrund gerückt werden. Wenn wir über Wert und Authentizität sprechen, dann liegt darin meiner Meinung nach der wahre Luxus. Ein noch wichtigeres Element des Narrativs ist das der Einhaltung der Werte des Luxus. Über die Qualität hinaus gibt es fast eine Philosophie rund um die Art und Weise, wie z. B. Taschen etc. hergestellt werden. Die narrativen Elemente rund um die Produktionsprozesse haben viel mehr an Bedeutung gewonnen.

Weiterentwicklung des Angebots

 
FNW: Welchen Einfluss wird das Thema Nachhaltigkeit auf den Markt haben?

YH: Nachhaltigkeit ist noch keine Realität. Vielleicht auf der Ebene des Sourcing. Es gibt einen riesigen Widerspruch zwischen der Flucht nach vorne, dem Wachstum, und der Reduzierung des Volumens. Es ist einfacher zu wachsen als zu schrumpfen. In den Strategien wird es eine Anpassung der Volumina geben. In einigen Fällen wird es ein elitäreres Modell mit einem Bedarf an Volumen geben, um entweder finanziellen oder ökologischen Erfordernissen gerecht zu werden. In den nächsten fünf Jahren werden die Labels mit mehr Einschränkungen beim Verkauf von Neuware konfrontiert sein. Meinen Prognosen zufolge wird in 10 Jahren die Hälfte des Sortiments in den Geschäften aus Upcycling- und Secondhand-Produkten sowie aus Dienstleistungen bestehen. Es wird nicht nur um den reinen Verkauf gehen, der vielleicht dem Online-Handel vorbehalten sein könnte. Die Läden werden eine andere Rolle spielen, wie es heute schon der Fall ist.
 
FNW: Was sind also die wichtigsten Herausforderungen im Hinblick auf die nachhaltige Entwicklung?

YH: Der Druck auf Materialien und Lieferanten in Bezug auf Nachhaltigkeit wird zunehmen, was zu kurzfristigen Belastungen und notwendigen Anpassungen in der Lieferkette führen wird.
 
FNW: Wie wird der Luxusmarkt in Zukunft aussehen?

YH: Es wird eine Dichotomie zwischen einer Elite und einem Massensegment geben. Luxus ist weitgehend demokratisiert worden. Ein großer Teil des Volumens besteht aus Produkten, die, wenn auch nicht im unteren Preissegment, so doch in jedem Fall erschwinglich sind. Die Nachfrage wird nicht verschwinden. Im Gegenteil, sie wird wahrscheinlich noch wachsen und stärker werden.

Was sich ändern wird, ist die Art und Weise, wie Marken geführt werden. Früher haben sich die Häuser auf das Wachstum und die Begehrlichkeit ihrer Marke verlassen und eher auf die Nachfrage reagiert als am Angebot zu arbeiten. Hier wird es eine Rückkehr zu einer echten strategischen Überlegung geben, wie man seine eigene Marke begreift. Zumal sich die Führungskräfte derzeit auf die kurzfristige Entwicklung konzentrieren und weniger auf eine strategische Perspektive. Sie stehen so sehr unter dem Druck der Nachfrage, dass sie vielleicht die Strategie aus den Augen verloren haben. Es wird also zu einer Rekalibrierung kommen, da es einen Bedarf gibt, die Nachfrage und bestimmte Praktiken anzupassen. Aber neben der Aufrechterhaltung der Nachfrage ist es für die Häuser auch entscheidend, ihre Begehrlichkeit zu erhalten.

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