Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
27. Mai 2025
Niemand kann Louis Vuitton oder seinem CEO Pietro Beccari ein schlechtes Timing vorwerfen: Am Donnerstag präsentierte das Modehaus im Papstpalast von Avignon seine brillante, ritterlich-elegante Cruise Collection, nur zwei Wochen nachdem im Vatikan der neuen Papst Leo XIV. gewählt wurde.
Die Show wurde in der beeindruckenden gotischen Festung organisiert und bot eine herausragende Inszenierung mit heraldischen Emblemen, Turniermotiven, mittelalterlichem Flair und eleganten Entwürfen mit den für Kreativdirektor Nicolas Ghesquière typischen sportlichen Elementen.
Die Organisation der Vuitton Cruise Collections in ikonischen Gebäuden hat unter Nicolas Ghesquière Tradition. Obwohl die gewählten Bauwerke bisher meist Ausdruck des Optimismus des 20. Jahrhunderts waren und nicht der Macht der Kirche des 13. Jahrhunderts. Frühere Cruise-Shows fanden im futuristischen Bob & Dolores Hope Estate in Palm Springs, im UFO-ähnlichen MAC von Oscar Niemeyer in Rio und im TWA Terminal von Eero Saarinen in New York statt.
Die Show wurde zudem in einer für die Marke sehr ereignisreichen Zeit veranstaltet. Im Frühling eröffnete Vuitton in Mailand den jüngsten Flagship-Store, vor einem Monat wurde bei der Saisoneröffnung in Melbourne die neue Partnerschaft mit der Formel 1 enthüllt und letzte Woche eröffnete in Saint-Tropez ein Restaurant der Marke neu. Es ist Teil der wachsenden Gastronomiesparte von Louis Vuitton, die aktuell fast ein Dutzend Restaurants und Bars umfasst.
Vuitton ist die größte und profitabelste Marke des Luxuskonglomerats von LVMH. Im vergangenen Jahr verzeichnete der Konzern einen leichten Umsatzrückgang auf noch immer sehr ansehnliche EUR 84,7 Milliarden. LVMH gibt keine Umsätze für die einzelnen Tochtermarken bekannt, doch es macht keinen Zweifel, dass Louis Vuitton mehr als EUR 20 Milliarden Umsatz erzielt.
Ein geeigneter Zeitpunkt, um sich mit Louis Vuitton-CEO Pietro Beccari zu unterhalten. Der energische Italiener, der für seine geballte Energie bekannt ist, blickt auf eine bemerkenswerte Karriere zurück: Er war bereits dreimal CEO, zunächst bei Fendi mit Karl Lagerfeld als Designer, dann bei Dior mit Maria Grazia Chiuri und Kim Jones und nun bei Vuitton mit Nicolas Ghesquière und Pharrell Williams. Darüber hinaus kann man Pi mal Daumen sagen, dass kein anderer CEO einer führenden Mode- und Luxusmarke in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein schnelleres Wachstum erzielte als Beccari.
Fashion Network: Warum sind wir in Avignon?
Pietro Beccari: Wir sind hier, weil wir einen Ort gesucht haben, der Frankreich würdigt, da Vuitton eine französische Marke ist. Außerdem gefiel Nicolas die Vorstellung, etwas zu tun, was noch nie zuvor gemacht wurde – die erste Show im Papstpalast. Es ist ein Ort von außergewöhnlicher architektonischer Schönheit.
FNW: Nicolas hat für viele Cruise Shows modernistische Gebäude bevorzugt, der Papstpalast stellt einen bedeutenden architektonischen Wandel dar. Warum dieser radikale Richtungswechsel?
PB: Das würde ich so nicht sagen. Als wir damals in Isola Bella in Italien defilierten, unter einem Regenbogen, vor einem fantastischen Gebäude, das war ein ziemlich klassisches architektonisches Werk. Und schließlich kommt die Ausstellung genau zum richtigen Zeitpunkt. Wir haben gerade einen neuen Papst und wir befinden uns im Papstpalast. Ein besseres Timing ist kaum vorstellbar!
FNW: Wieso bleibt die Cruise Collection für Louis Vuitton so wichtig?
PB: Sie ist wichtig, weil sie außerhalb der Modewochen und Paris gezeigt wird. So können wir die richtigen Leute einladen – Presse, Influencer und die kreative Community –, um etwas Neues zu erleben. Um eine Kollektion zu sehen, die von einem bestimmten Ort inspiriert ist. Das ist aus Kommunikationssicht sehr wichtig.
Konkret kommt die Kollektion im November in die Läden und bleibt bis Februar/März, was sie zu einer langen Kollektion macht, die auch die Weihnachtszeit umfasst. Daher ist sie für uns aus geschäftlicher Sicht ziemlich bedeutend.
FNW: Vuitton hat zwei sehr markante, aber auch sehr unterschiedliche Kreativdirektoren: Nicolas Ghesquière und Pharrell Williams. Was ist das Geheimnis, um so dynamische Talente zu managen und unter einen Hut zu bringen?
PB: Das sollten Sie sie vielleicht direkt fragen! Ich sage Ihnen, was ich glaube: Sie sind sehr unterschiedlich, das stimmt. Aber ich denke auch, dass ich das beste Kreativduo der Branche habe. Mit ihnen hat unsere Marke zwei starke Stimmen und zwei großartige kreative Standpunkte. Vuitton ist eine riesige Marke. Ich finde das sehr gesund, sie ergänzen sich und das ist für beide inspirierend. Vor allem, da wir ein sehr umfangreiches Angebot für Männer und Frauen führen, ist es großartig, zwei Perspektiven zu haben. Ja, ihre Charakterzüge sind völlig unterschiedlich. Pharrell ist ein Multitalent aus der Musik- und Kino-Branche. Er ist ein musikalischer Unternehmer mit einem sehr raffinierten Geschmack, schon seit der Zeit mit Karl Lagerfeld und Chanel. Er ist ein gefeierter Dandy, wie uns kürzlich beim Met Ball wieder vor Augen geführt wurde.
Nicolas wiederum ist einer der größten Couturiers – und einer der letzten Couturiers –, da er noch immer von Hand entwirft. Er ist jemand, der geboren wurde, um großartige Mode zu kreieren. Er ist ein waschechter Kreativdirektor, zu 100 Prozent. Ich denke, dass seine Mischung aus Lifestyle, purem Stil und modischer Schöpfung eine reine und explosive Wirkung entfaltet. Damit muss man umgehen können.
FNW: Es stehen vier Monate voller Modenschauen bevor: im Juni und September die Herren- und Damenmode in Mailand und Paris und die Haute Couture in Paris im Juli, wo über ein Dutzend neue Kreativdirektoren in einigen der größten Modehäuser Europas zu sehen sein werden.
PB: Und es dürften noch mehr werden!
FNW: Genau, deshalb lautet meine Frage: Was spricht für Sie dafür, einem Designer treu zu bleiben? Kann diese langanhaltende Beziehung ein kluger Schachzug sein?
PB: Nun, wir befinden uns derzeit in einer Phase, in der viele Menschen glauben, dass ein Designerwechsel die richtige Strategie ist. Wenn sie denn wollen. Ich habe gerade meinen Vertrag mit Nicolas um weitere fünf Jahre verlängert. Ich glaube also fest an langfristige Beziehungen. Karl Lagerfeld hat die ganze Zeit, in der ich bei Fendi war, mit mir zusammengearbeitet. Am Ende war er 60 Jahre lang dort! Als ich zu Fendi kam, haben wir daran nichts geändert. Als ich zu Dior stieß, war Maria Grazia Chiuri dort, und ich habe nichts geändert. Wir haben zusammengearbeitet und waren sehr erfolgreich. Nun, bei der Menswear habe ich etwas Neuheit eingebracht – mit Kim Jones bei Dior und Pharrell hier bei Vuitton. Aber gestützt auf meine persönliche Geschäftserfahrung glaube ich grundsätzlich an lange Liebesgeschichten.
FNW: Wir leben in einer Zeit, in der Erlebnisse eine große Rolle spielen. Gerade diese Woche haben Sie das Vuitton-Restaurant in Saint-Tropez wiedereröffnet. Damit haben Sie nun fast zehn Cafés und Restaurants. Warum legen Sie so viel Wert auf Ihr Gastronomie-Angebot?
PB: Die Leute wollen nicht einfach nur eine Tasche kaufen und nach Hause gehen. Es geht darum, Geschichten zu erzählen – schöne Geschichten. Ich glaube, eine Marke wie Vuitton kann es sich nicht leisten, nur Taschen zu verkaufen. Sie muss eine Referenz- und Lifestyle-Marke sein und in die oberste Reihe der Kulturmarken aufsteigen. Apple ist für mich eine Kulturmarke, und Vuitton ist eine Kulturmarke. Das ist unsere Stärke – sei es als Verlag, durch Kooperationen mit Künstlern oder durch unsere unglaublichen Projekte mit Architekten in unseren großartigen Verkaufsstellen, wie dem gerade in Mailand eröffneten Store –, damit unsere Kunden immer besser verstehen, dass wir eine Kulturmarke sind. Unsere Restaurants sind Teil davon. Und soweit ich das beurteilen kann, sind unsere Restaurants und Cafés von New York bis Mailand sehr erfolgreich.
FNW: Warum scheint Vuitton ungeachtet des weltweiten Abschwungs im Luxussegment und der schwierigen Phase für die Modebranche so erfolgreich?
PB: Nun, der Schlüssel liegt meines Erachtens darin, nicht die Nerven zu verlieren, wie in der Formel 1, wo wir auch sehr beschäftigt waren. Wenn ich eine Kurve sehe, beschleunige ich und fahre schneller. Bei der Leitung von Vuitton gefällt es mir also nicht, abzubremsen. Im Luxussegment muss man bereit sein, Risiken einzugehen, wenn man etwas erreichen will.
FNW: Was würden Sie jemandem raten, der eine Karriere im Luxusmanagement anstrebt?
PB: Zunächst einmal muss man härter arbeiten als alle anderen. Meiner Tochter, die gerade einen Job in New York angefangen hat, habe ich vor Kurzem gesagt, dass man mehr tun muss als die anderen. Und wenn die anderen aufhören, musst du weiterarbeiten. Meiner Meinung nach besteht Erfolg zu 10 Prozent aus Talent und zu 90 Prozent aus Aufopferungsbereitschaft, Fleiß und Engagement. Man muss in allem ein bisschen wie ein Verrückter sein. Das macht jemanden erfolgreich – zumindest würde ich diesen Rat geben.
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