Übersetzt von
Aline Bonnefoy
Veröffentlicht am
24. Februar 2025
Fünf Jahre nach dem Brexit, der in vielerlei Hinsicht in einer absurden Angst vor Zuwanderung gründete, sorgten mehrere Designer an der London Fashion Week für einen eindrucksvollen Tag. Obwohl kaum einer von ihnen in Großbritannien geboren wurde.
Roksanda: Plastische Mode
Roksanda ruft in London eine ganz besondere stille Ehrfurcht hervor. Und auch ihre neueste Kollektion hatte eine fast hypnotisierende Wirkung auf das Publikum.
Die Show wurde in Covent Garden organisiert, im obersten Stockwerk des kreisrunden Space House. Die Models marschierten im Kreis, während im Hintergrund Londons neueste Generation von Wolkenkratzern zu sehen war. In ihren Formen spiegelten sich die meisterhaften Silhouetten der serbischen Designerin der Marke, Roksanda Ilinčić.
Von “The Shard” über “The Cheesegrater” bis hin zu “The Shaver” – die vielfältigen Gebäudeformen und -Umrisse tauchten fast magisch in den übergroßen Blazern oder Wollmänteln auf, aus denen auf Hüfthöhe Stoffbahnen entsprangen.
Mit ihrer Fähigkeit, übertriebene Proportionen zu zähmen, machte Roksandas diese Kollektion zu etwas ganz Besonderem. Etwa mit einem absurden, eleganten XL-Smoking, kombiniert mit einem grandiosen Paillettenrock, oder zwei wunderschönen lavendelrosa Chiffon- und Seidenkleidern.
Auch die verwendeten Drucke waren bemerkenswert: eingescannte Bilder von Kunststoffabfall, die mit kräftigen Pinselstrichen übermalt wurden. Eine Anspielung an die britische Künstlerin Phyllida Barlow, die für ihre skulpturalen Zeichnungen und grob bemalten Konstruktionen bekannt war und Roksanda in dieser Saison inspirierte.

Zum ergreifenden Finale spielte die Designerin eine Aufzeichnung von Barlows letztem Interview vor ihrem Tod ab. Der perfekte Soundtrack enthielt unter anderem den Song “Just (After Song of Songs)” von Melissa Hughes, Jamie Jordan und modernistische gregorianische Gesänge sowie postmoderne Dommusik.
“Ich denke, für mich ist Skulptur, was auch immer das ist, nicht nur der Gegenstand, sondern die Verkörperung von etwas, das uns und unsere eigene körperliche Existenz ersetzt”, erklärte Barlow. Ein Kommentar, der auch zu dieser Kollektion passt.
Zum Abschluss folgte ein triumphales Finale, bei dem Roksanda ein halbes Dutzend durchsichtige Kleider mit riesigen Neopren-Blütenblättern präsentierte. So schwungvoll geschnitten, dass sie Frank Gehry darum beneidet hätte.
Chet Lo: Der Osten schlägt zurück
Chet Lo zeigte eine freche und ausgefallene Interpretation der Mode. Mit seiner Mischung aus asiatischem Kolorit und subversiven Elementen gestaltete er eine großartige Show.

Durchgehend körperbetonte, starke Outfits, mit tollen, enganliegenden Strickwaren, aber auch gefütterte Pullover, knielange Röcken, tolle verführerische Grafiken, figurbetonte Jacken und Miniröcke mit Chinoiserie-Flair.
Im Mittelpunkt standen Chet Los typischen Stachellooks aus Merinowolle, in Form von langen Abendkleidern, schmalen Pullovern oder an den Ärmeln von Blazern zu sehen.
In seiner Co-ed-Show trugen Herren enganliegende Stricktops, an den Schultern mit Nieten besetzt, fließende Hosen und tolle neue nietenbesetzte Sneaker – die freundlicherweise von Converse für die neueste Collab mit der LFW zur Verfügung gestellt wurden.

Es ist kein Geheimnis, dass man den Erfolg eines Designers daran ablesen kann, dass die Models von seinen Kleidern begeistert sind. So wie es heute bei Chet Lo der Fall war, einem asiatisch-amerikanischen Designer aus New York. Es war ein Leichtes, sich vorzustellen, wie die Models in diesen tollen Outfits glücklich aus dem Showroom von 180 The Strand strömten, um zur nächsten Party in London weiterzuziehen.
Simone Rocha: Die Schildkröte und der Hase
Simone Rocha verpasste ihrer Ästhetik eine große Portion ‘Tough Chic’ und fügte damit ihrem beeindruckenden Designerarsenal eine weitere Waffe hinzu. Am einprägsamsten waren die Tiere der Arche Noah, die sich unter die Models mischten: Von hasenförmigen Satintaschen und Plastikschildkröten bis hin zu Rucksäcken aus Kunstaffenpelz und Nylontaschen mit Hasenohren – Tiere bevölkerten fast alle Looks.

Die Show fand in der Goldsmith’s Hall in der Londoner Innenstadt statt, Rochas neuestem historischen Veranstaltungsort. Die in Dublin geborene Designerin zeigte eine hervorragende Kollektion mit neuartigen, rassigen Negligé-Looks und halbtransparenten Cocktailkleidern, kombiniert mit weißen Söckchen.
Rocha ließ wie immer etwas Punkrock-Flair einfließen und enthüllte hervorragende Bikerjacken, die wie Tuniken geschnitten und mit Puffärmeln versehen waren.
Auch hier waren die Models von den Entwürfen sichtlich begeistert. Sie defilierten durch die Goldsmith’s Hall, bei deren Eröffnungsfeier 1835 der Herzog von Wellington und Robert Peel zusammen speisten.

Paolo Carzana: Ein Stern geht auf
Zum Abschluss des Tages folgte ein bezaubernder Modemoment von Londons bedeutendstem Nachwuchstalent Paolo Carzana.

Seine Show wurde in einer winzigen Kneipe namens The Holy Tavern mit nur 40 Gästen im Publikum organisiert. Dazu ein Dutzend Zuschauer, die bei leichtem Regen auf Barhockern auf dem Bürgersteig ausharrten und ein paar Fans im schmalen viktorianischen Durchgang St John’s Path. Daraus strömte bald eine fröhliche Bande betörend zerzauster Dandys und Gangsterbräute, alle in seltsam gefärbten, zerknitterten und zerknüllten Stoffen gekleidet.
Die Models waren wunderschön zerlumpt und zeigten eine Kollektion, die zusammengebunden, verdreht, gewickelt und gerüscht war – wie Statisten aus dem “Floß der Medusa”. Die Kleider waren mit groben Nähten und aufgelösten Fäden versehen und sahen aus, als hätte sie ein Eigenleben. Die Models trugen zerzauste Sans-Culottes-Mützen oder schiefe Mini-Turbane. Eine Co-ed-Show, zu deren Abschluss eine poetische Charlotte Corday ihrer Bande in die Kneipe folgte.
“Ich wollte zeigen, wo wir heute stehen – im Fegefeuer. Wir leben in dunklen Zeiten … Weil die Menschheit unseren Planeten zerstört. Und auch die Art und Weise, wie uns die LGBT-Rechte genommen werden, sodass wir nicht wir selbst sein können”, erklärte der Designer.
Dann verneigte er sich, von seinen Gefühlen überwältigt. Ein anhaltender Applaus für Carzana, der mit seinem Mentor Sir Paul Smith einen coolen neuen Modeinkubator im Londoner East End bezogen hat.
Wahrhaftig ein aufgehender Stern am Modehimmel.
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