Dior Cruise Collection in Rom: Vor Maria Grazia Chiuri kam die Sintflut

Maria Grazia Chiuri hat für ihre neueste Cruise-Kollektion für Dior am Dienstagabend die Geschichte Roms aufgegriffen. Kurz vor ihrer wohl letzten Show für das Modehaus meldete sich Petrus mit Regen.
 
Unter dem Titel “Theatrum Mundi” – Das Welttheater – spielte die Kollektion mit der Idee der ständigen Wiederentdeckung Roms durch Künstler, Schriftsteller und Archäologen, wie auch dem ungebrochenen Einfluss der Stadt auf die Mode.

Es wurde wohl kaum jemals eine Show in einer prächtigeren Kulisse inszeniert als die Dior Cruise Show im Garten der Villa Albani Torlonia. Der wunderschöne Palast aus Quadersteinen stammt aus der Spätrenaissance und beherbergt eine der größten privaten Sammlungen griechischer und römischer Statuen.
 
Die Gäste hielten sich strikt an der Kleiderordnung der Designerin: Damen in Weiß und Herren in Schwarz. Das Ergebnis war das eleganteste Publikum seit langem an einer Modenschau. Als die Gäste eintrafen, konnten sie Darbietungen von Pantomimen bewundern. Diese waren ganz in Weiß gekleidet und spielten vor drei Meter hohen Sträuchern und tanzten wie Harpyien oder Geister auf erhöhten Plattformen.

Der Laufsteg war ein Kiesweg, auf dem die Models – fast durchgehend in flachen Schuhen – entlangtrippelten, bis zu der mit Statuen von Kaiserinnen, Göttinnen und gefallenen Kriegern bevölkerten Loggia der Villa.
 
Obwohl die Kulisse die Pracht des antiken Roms ehrte, waren die Kleider zeitgenössisch, mit einem Dutzend Trenchcoats, sehr kurz und doppelreihig oder lang und bedruckt. Es war kein kurzer Look zu sehen, fast jedes Outfit umfasste ein Etuikleid – aus meterlangem Organza, schimmernder Metallic-Seide oder aufwendiger Spitze.
 
Wie die Geschichte Roms, die sie inspirierte, vermischte Maria Grazia in vielen Looks verschiedene Epochen – ein Peacoat wurde zum Frack, ein Kittel zum Ballkleid. Und zum Abschluss gab sie mit Seidenkleidern, die an Gladiatorenrüstungen erinnerten, noch einmal richtig Gas.
 
Shakespeare interpretierte das metaphysische Konzept des Theatrum Mundi mit seinem berühmten Satz: “Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Männer und Frauen bloße Spieler”. Chiuri verstand es als eine Ansammlung der historischen Bestandteile Roms, der Ewigen Stadt, in der jede Generation tausendjährige Kunstschätze und architektonische Seltenheiten wiederentdeckt.

 
Dies zeigt sich in der brillanten Auswahl der Drucke, die in Zusammenarbeit mit dem ebenfalls hochtalentierten römischen Künstler Pietro Ruffo entstanden sind. Ausgangspunkt der Kollektion bildete die Domus Aurea, ein riesiger, 80 Hektar großer Palast, mit dessen Bau Kaiser Nero im Jahr 64 n. Chr. begann. Das Bauwerk war ein Symbol für Neros Dekadenz und wurde nach dessen Tod seiner Marmorverkleidung, Juwelen und Elfenbeinschnitzereien beraubt. Dann fiel er in Vergessenheit und wurde erst rund 1500 Jahre später wiederentdeckt. Seine wunderschönen, verblassten Fresken inspirierten eine ganze Generation von Renaissancekünstlern wie Raffael und Michelangelo. Maria Grazia Chiuri verwendete ihrerseits Ruffos verblasste Palast-Illustrationen der Domus Aurea für schicke Mäntel, Seidenhosen und Oberteile. Ruffo ist ein wahrhaft begnadeter Illustrator, dessen neu interpretierte Zeichnungen eine enorme Strahlkraft haben.
 
Um das zeitgenössische Flair noch zu verstärken, ließ Chiuri ihren Lieblingsfilmemacher, den italienischen Regisseur Matteo Garrone, während der Show seinen Kurzfilm ‘Les Fantômes du Cinema’ als Livestream ausstrahlen. Glücklicherweise hatte Dior alle Gäste mit transparenten Regenschirmen ausgestattet, sodass das Publikum die Show trotz des Regens genießen konnte.
 
Zum Finale ließ der Regen nach. In der ersten Reihe saßen Schauspielerinnen und Aristokratinnen wie Natalie Portman, Rosamund Pike, Ashley Park, Deva Cassel, Alexandra Daddario, Camille Cotin, Beatrice Borromeo, Valeria Golino, Elza Gonzalez und Victoria de Marichalar.
 
Insgesamt umfasste die Show 80 Looks, darunter auch einige Couture-Ideen. Sechs Wochen zuvor gab Bernard Arnault, CEO des Mutterkonzerns LVMH, bekannt, dass der nordirische Designer Jonathan Anderson seinen britischen Vorgänger Kim Jones bei Dior Men ablösen und im Juni seine erste Kollektion in Paris präsentieren werde. Deshalb geht die Modebranche davon aus, dass Jonathan Anderson bald auch Maria Grazia Chiuris Funktion als Kreativdirektor der Womenswear übernehmen wird.
 
Auf das Ende ihrer Ära bei Dior angesprochen, antwortete Chiuri: “Dazu habe ich absolut nichts zu sagen. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass es mir sehr gut geht.”
 
Auf die Frage nach dem Einfluss Roms auf ihre Entwürfe während ihrer Zeit beim Pariser Modehaus antwortete die gebürtige Römerin: “Wissen Sie, ich habe Rom eigentlich nie wirklich verlassen. Wenn man ins Ausland geht, um dort zu leben und zu arbeiten, lernt man mehr über seine Herkunft. Das war auch bei mir der Fall.”
 
Die Pariser Haute Couture Saison findet in der zweiten Juliwoche statt, zehn Tage nach der Pariser Herrenmodewoche. In diesem Rahmen gibt Anderson sein Dior-Debüt mit einer Show am Freitag, dem 27. Juni, um 14:30 Uhr. Ungenannte Quellen ließen verlauten, dass Dior in diesem Sommer keine Couture-Show plant. Die Fédération de la Haute Couture et de la Mode, die die französischen Modewochen überblickt, lehnte eine Stellungnahme ab. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass Dior im vorläufigen Couture-Programm, das am Montag veröffentlicht wird, nicht aufgeführt sein wird. Damit dürfte diese Cruise-Show in Rom Chiuris Abschluss-Show ein.
 
Zu Beginn des Tages stellte Chiuri ihr nächstes großes Projekt vor: Il Teatro della Cometa, ein wunderschön restauriertes Theater, das sie vor fünf Jahren erworben hat. Es liegt gegenüber dem Kapitolshügel, dem politischen Zentrum des alten Roms.
 
Journalisten wurden gruppenweise durch “Maria Grazias Rom” geführt. Den Startpunkt bildete der legendäre römische Schneider Tirelli Costumi, dessen einzigartige Kreationen über ein Dutzend Oscars für das beste Kostümdesign gewonnen haben. Hier waren die von Tirelli entworfenen Tournüre-Kleider ausgestellt, die Winona Ryder und Michelle Pfeiffer in Martin Scorseses “Zeit der Unschuld” trugen und für die Gabriella Pescucci 1993 den Oscar für das beste Kostümdesign gewann. Daneben standen Repliken von Tirellis Oscar-prämierten Ballkleidern, die Piero Tosi für Luchino Viscontis Klassiker “Der Leopard” aus dem Jahr 1963 entworfen hatte. Looks von Tirelli wurden später auch von den Mimen und Tänzern vor der Dior-Show getragen.
 

Der Tag begann mit der Premiere eines Stummfilms in Maria Grazias eigenem Theater, einer Performance-Kunst-Aufführung mit weiß gekleideten Schauspielern – Schönheiten in Ballkleidern, Orpheus mit seiner Laute, Clowns mit Stachel-Frisuren, Society-Hostessen, zügellose aristokratische Dandys, römische Kaiserinnen – alle von Chiuri eingekleidet. Eine Hommage an die berühmten Bälle, die von Mimi Pecci Blunt, Society-Hostess und Besitzerin von Kunstgalerien in Rom und New York, ins Leben gerufen wurden. Blunt war es, die 1958 das Teatro della Cometa eröffnete.
 
“Ein kleines Theater, inspiriert von den alten Hoftheatern, also ein intimes, kostbares und raffiniertes Theater”, so beschrieb Pecci Blunt ihr Theater. Und setzte einen Meilenstein für den nächsten Schritt im kreativen Leben von Maria Grazia Chiuri.
 
Am Ende erhob sich das Publikum zu Standing Ovations, während Maria Grazia Chiuri eine ausgedehnte Runde durch den kunstvollen Garten drehte, sichtlich bewegt und wehmütig, aber auch voller Stolz.
 
F. Scott Fitzgerald pflegte zu sagen, dass es in den USA im öffentlichen Leben keinen zweiten Akt gebe. Aber er lebte nie in Rom und traf auch Maria Grazia nicht. Denn sie ist bereits beim nächsten Akt.