Übersetzt von
Felicia Enderes
Veröffentlicht am
10. März 2025
Drei Traditionsmarken – Akris, Valentino und Balenciaga – zeigten am Sonntag in Paris völlig gegensätzliche Schauen. Ihre extremen Unterschiede spiegeln den Facettenreichtum der wichtigsten Laufsteg-Saison der Welt wider.
Akris: Kleidung für kluge Mädchen
Wenn man wirklich wissen will, was die Entscheidungsträgerinnen der Welt im nächsten Winter tragen werden, dann ist eine Akris-Laufstegshow der ideale Ort, um dies herauszufinden.
Zu sehen gab es eine neue Reihe bemerkenswerter Materialien: edler, hochfloriger Cord, der in tollen Mänteln oder Mantelkleidern aus makellosen Wollmischungen verarbeitet wurde.
Albert Kriemler setzte in dieser Saison besonders auf Cyan, ein griechisches Wort, das einen bestimmten Blauton bezeichnet. Letztlich wurde aber mit einer Reihe von Blautönen gearbeitet – Indigo, Kobalt, Azur, Lapis, Admiral und natürlich Mitternachtsblau -, die oftmals für die Accessoires wie Federn an Pumps, Handtaschen oder Ohrringen verwendet wurden.
Nur wenige Marken bieten eine komplettere Garderobe als Akris. Perfekt gearbeitete Anzüge für Vorstandssitzungen oder Vertragsunterzeichnungen, elegante Parkas oder Denim-Staubmäntel für Wochenendspaziergänge.
Präsentiert wurden außerdem raffinierte Cocktailkleider für Vernissagen oder prächtige Roben für die Wiener Staatsoper oder das Met in New York.
In dieser Saison hat sich Kriemler mit der Künstlerin Alyson Shotz zusammengetan, und die daraus resultierenden spiralförmigen und rauchartigen Prints fanden sich auf raffinierte Weise in dramatischen Mänteln wieder.

Alles verschmolz in einer perfekt abgestimmten Show, die in der bemerkenswerten mittelalterlichen Kirche Collège des Bernardins – gleich gegenüber von Notre Dame auf der anderen Seite der Seine – stattfand. Dem selbstbewussten, aber eher zurückhaltenden Designer wurde einer der größten Beifallsstürme seiner langen Karriere zuteil.
In Zusammenarbeit mit dem neuen DJ Terence Fixmer entstand ein Soundtrack, der gleichzeitig ätherisch und industriell war. Er ist bekannt dafür, in Berlins dunklem und verrücktem Nachtclub Berghain aufzulegen, wo die Partys drei Tage dauern können. Das verleitete uns zu der Frage an den Designer, ob er selbst schon einmal in diesem Club war?
Beantwortet wurde dies mit einem offenen Mund, einem Schlucken und einem leicht jungenhaften Achselzucken, aber weder mit einem Ja noch mit einem Nein. Das deutet darauf hin, dass Kriemler die dunkle Seite Berlins nicht fremd ist.
Valentino: Grey Gardens auf der Toilette eines Berliner Nachtclubs
Manchmal fragte man sich beim Betrachten der neuesten Kollektion von Alessandro Michele, ob Michele für Valentino arbeitet, oder ob Valentino für Michele arbeitet, so selbstverliebt wirkte die ganze Veranstaltung.

Die Gäste wurden in einen großen, verschwitzten schwarzen Kasten an der Seine eingeladen, wo sie sich inmitten von etwa 70 Toilettenkabinen wiederfanden, die allesamt in dem sündigen Rot des Gründers Valentino Garavani gestrichen waren. Vor der Show posierten Micheles alter Kumpel Jared Leto und verschiedene K-Pop-Stars abwechselnd vor billigen Badezimmerspiegeln, die ebenfalls in rotes Neonlicht getaucht waren.
Als die Show schließlich begann, verließen die Models zu einem donnernden Soundtrack nacheinander ihre roten Kabinen. Danach waren die üblichen Verdächtigen von Michele zu sehen. Doch zum Glück ist Alessandro ein ausreichend erfinderischer Designer, so dass die Kreationen stets neu wirkten.
Den Auftakt machten schnittige Hosenanzüge oder Kostüme mit Pelzbesatz. Passend zur Kulisse liefen einige Models mit im Schritt geöffneten Bodys über den Laufsteg. Einige trugen Bustiers mit Satinschleifen und Jeans, andere lange, fließende Seidenröcke mit durchsichtigen Netzoberteilen.

Die Models trugen blasses Goth-Make-up, endlose Edie Bouvier Beale-Stirnbänder und Sonnenbrillen. Nicht gerade das, was die meisten Frauen in öffentlichen Toiletten tragen, schon gar nicht in Berlin oder auf Ibiza.
Die Show bot ein paar ausgefallene Klamotten – wunderschön drapierte Seidenband-Cocktailkleider, silberne, gerüschte Spitzenkleider und Strickkleider mit Schlangenhautmuster. Und für die Herren gab es elegante Blazer oder doppelreihige Disco-Jacken, die mit roten Seidenjagdhemden getragen wurden, und einen fabelhaften Morgenmantel mit Trichterausschnitt aus beigem Kaschmir.
Niemand könnte Alessandro vorwerfen, er hätte keine blühende Fantasie. Warum er allerdings Sneakers mit karierter Flagge wählte, wie man sie in den Discounterläden der 14th Street findet, ist schwer zu verstehen.
Die Show endete mit donnernder Musik, einer Mischung aus Klassik und Industrial, darunter ein Remix von “Ailanthus” von Julia Kent. Eine bombastische Show, aber keine brillante.
Balenciaga: pur und unverfälscht
Wer seine Mode gerne dunkel, tough und oft auch allwettertauglich mag, der kam bei der jüngsten Balenciaga-Show von Designer Demna voll auf seine Kosten.

Das Set beschränkte sich in dieser Saison auf das Nötigste: einen engen, klaustrophobischen Laufsteg mit sechs Meter hohen Vorhängen auf beiden Seiten. Alles war in Schwarz gehalten.
Ein Sprecher mahnte uns lautstark, unsere Plätze einzunehmen, gefolgt von einer Minute “Moonlight Sonata” von Dr. Death + Mr. Vile, bevor wir in Demnas einzigartige Welt eintauchten.
Die Show startete mit einfachen Basics: ein Typ in schwarzem Anzug und Krawatte, der auch als Security für die Show hätte durchgehen können. Ein Junge in dunkler Hose und Daunenweste, die von Uniqlo stammen könnte. Dann ging es richtig los mit einer hypercoolen, gesteppten Bustierjacke für Jungs und Mädels, rockigen Nylonmänteln und einem Rippenstrickpulli, der bis zu den Knien reichte.
Außerdem sah man viele Flüchtlings-Looks mit zerrissenen Tanktops, Outback-Rider-Stiefeln und Jeansjacken mit Pelzkapuzen, die so groß waren, dass sie das ganze Gesicht verdeckten.

Letztendlich war dies eine Statement-Show eines Herrn, der als Flüchtling aus Sokhumi kam, der Hauptstadt der georgischen Provinz Abchasien, einem abtrünnigen Banditenstaat, der der lokalen Bevölkerung von Putin aufgezwungen wurde.
Der Flüchtlings-Chic ist nicht nur eine modische Aussage. Es ist ein Ausdruck des gefährlich möglichen Preises, den Osteuropa für Donald Trumps Sympathie für den totalitären Führer Russlands zahlen könnte – in Form einer Laufstegshow.
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